Die Kerze des neuen Jahres
In einem kleinen, ruhigen Dorf am Fuße eines Berges lebte eine alte Frau namens Amara. Sie war bekannt für ihre Weisheit und für die einfachen, aber kraftvollen Geschichten, die sie erzählte. Jedes Jahr zum Jahresanfang versammelten sich die Dorfbewohner um ihren Kamin, um ihre Worte zu hören.
An diesem kalten Januartag stellte Amara eine einzelne, weiße Kerze vor sich auf den Tisch. Sie zündete sie an, und ihr sanftes Licht erhellte den Raum.
„Diese Kerze“, begann sie, „ist das neue Jahr. Noch ist sie hell und unberührt, aber ihre Flamme ist zerbrechlich. Es liegt an uns, sie zu schützen, zu nähren und bewusst zu nutzen.“
Die Dorfbewohner schauten schweigend auf die flackernde Flamme. Amara fuhr fort:
„Das Leben ist wie eine Kerze. Sie brennt, ob wir es bemerken oder nicht. Jeden Moment, den wir in Angst, Zorn oder Unachtsamkeit verbringen, schmilzt ein Stück des Wachses, das nie zurückkehren wird. Doch wenn wir die Flamme mit Liebe, Hoffnung und Achtsamkeit nähren, wird sie hell leuchten und Wärme in die Welt bringen.“
Sie legte eine Hand über die Kerze, gerade nah genug, um die Wärme zu spüren. „Aber achtet auch darauf, dass eure Flamme nicht zu stark brennt. Wenn ihr euch überfordert, brennt ihr aus. Wenn ihr eure Energie verschwendet, bleibt keine Kraft für die wirklich wichtigen Dinge.“
Ein kleines Kind fragte: „Und was, wenn die Flamme erlischt?“
Amara lächelte sanft. „Manchmal erlischt die Flamme. Wir machen Fehler, werden müde oder verlieren den Glauben. Aber das ist nicht das Ende. Jede Kerze kann neu entzündet werden – durch die Wärme eines anderen Herzens, durch einen stillen Moment der Besinnung oder durch die Kraft des Gebets.“
Die Dorfbewohner nickten nachdenklich. Dann erhob sich Amara und reichte jedem eine kleine Kerze. „Dies ist eure Flamme für das neue Jahr. Tragt sie mit euch, nicht nur als Symbol, sondern als Erinnerung: Jeder Tag ist ein Geschenk, jede Entscheidung ein Funke, und jede Begegnung eine Gelegenheit, Licht in die Welt zu bringen.“
In der stillen Nacht kehrten die Dorfbewohner nach Hause zurück, jeder mit einer brennenden Kerze in der Hand und einer Flamme der Hoffnung in ihrem Herzen.
Und so begann das neue Jahr – nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einem sanften, stetigen Licht, das den Weg wies.